Gruppenausstellung 2001

Ein Menschenpark :
Bruno Hofer, Erich Münch, Hans Remond, Leo Remond, Kurt Ruepp, Edgar Stork
zeigten Werke, die sich mit der menschlichen Gestalt beschäftigen.

Auszüge aus der Vernissageansprache von Thomas Brunschweiler, Journalist, Schriftsteller und langjähriger Mitwirkender in der Galerie:

"Menschenpark", ein seltsames Wort. Wir haben es dem Philosophen Peter Sloterdijk zu verdanken, der im Juni 1997 in Basel einen Vortrag mit dem Titel "Regeln für den Menschenpark" gehalten hat. Der Vortrag wurde damals wenig beachtet - die Basler Zeitung erwähnte ihn damals nicht einmal. Erst später sorgte erfür einen viel beachteten Skandal. Uns braucht dieser Hintergrund in diesem Zusammenhang nicht zu kümmern ... Wesentlich ist, dass Die Aussteller den Ausdruck "Menschenpark" gewählt haben, weil wir in dieser Ausstellung gleichsam einen Park verschiedener Menschenbilder vor uns haben, einen Park, durch den wir neugierig und mit offenen Augen streifen können. ... die Bilder und Objekte der hier ausgestellten sechs Künstler befassen sich alle mit der menschlichen Gestalt. Ihre Werke sind Facetten des Menschenbildes des 20. Jahrhunderts, und ihre Unterschiedlichkeit zeigt, wie individuell und wie aufgefächert das Menschenbild heute im Gegensatz zu andern Kunstepochen ist.
Hinweistafel Nr. 1

Verstörend und eindringlich sind die Köpfe von Bruno Hofer, einem Künstler, der aufgrund eines Down-Syndroms seit mehr als 30 Jahren im Wohn- und Werkstättenzentrum des Bürgerspital Basel lebt und seit 1993 in der Kreativwerkstatt malt. ... Die Serie von menschlichen Köpfen verdeutlicht, dass die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Antlitz nicht unbedingt mit einer kognitiven Absicht verbunden sein muss. Hofer besitzt die seltene Fähigkeit, Gefühlen, Gedanken und Stimmungen in einem unmittelbaren kreativen Prozess eine Gestalt zu geben, die die Intensität seines Erlebens spürbar macht. Für bruno Hofer sind Menschen und Beziehungen von elementarer Wichtigkeit. Die Botschaft seiner Werke ist einfach: Nehmt zur Kenntnis, was ich mache, nehmt zur Kenntnis, wer ich bin. Seine Menschendarstellungen sind nie individuell festgeschrieben, sondern besitzen symbolische Qualität; so tragen sie - in der Terminologie von Elias Canetti zu sprechen - die Macht der Verwandlung in sich, die sich unserem Hang zur eindeutigen Definition entzieht.

Hinweistafel Nr. 2

Die Arbeiten von Erich Münch sind im Gegensatz zu Hofers Werken ganz stark mit kognitiven Überlegungen verbunden. Sie sind Teil der Werkgruppe "Nebenmusik" aus dem "Zyklus A.L.". A.L. steht für Adrian Leverkühn, den Protagonisten des Romans "Doktor Faustus" von Thomas Mann. Die von einer zum Teil ornamentalen Ästhetik geprägten Miniaturen setzen sich mit der real nicht existierenden Musik in Manns Roman auseinander. Der Künstler hat als Unterlage je eine Seite aus dem Roman gewählt, den er jedoch - wie er selbst sagt - nicht illustrieren will. Die Bilder sind vielmehr Evokationen der nur virtuellen Musik in Manns Text, der hier in buchstäblichen sinne durch das Bild hindurchschimmert. Der in den Hintergrund getretene Text verrät etwas von der Kontextualität des menschlichen Daseins. Der Mensch steht immer in einem Kontext, in einem Gewebe von Sinnverweisungen, Zitaten und Bezügen. Münch thematisiert verschiedene Aspekte der condition humaine: Mutter und Kind, Kindheit, den gedrückten Menschen, die Sprachlosigkeit, die Folter. Aber auch dort, wo jugendstilähnliche Ornamentik zu überwiegen scheint, fehlt das Verstörende nicht ... Münchs Miniaturen, die auf ihre ganz besondere Weise Menschenbilder des 20. Jahrhunderts meditieren, bestechen durch subtile Farbigkeit, liebevolle Details und die Beherrschung der kleinen Fläche.

Hinweistafel Nr. 3

Wo Münch seine Themen in unterschiedlichster und vielgestaltiger Weise auseinanderfaltet, da setzt Hans Remond ganz auf Reduktion. Monochronie dominiert die verglasten Kästen und Holzskulpturen, surreal anmutende unbetretbare Räume voller spröder Poesie. Es ist nicht der Mensch selbst, der hier anwesend ist, sondern sein androgynes Abbild der hölzernen Gliederpuppe, die normalerweise dem Zeichner als Modell dient. Hier ist die Puppe dieser Funktion beraubt, gleichzeitig aber neu in Kraft gesetzt in ihrer dinglichen Präsenz. Die Gliederpuppe, die Kugel, das Kreuz: diese idealtypischen, überpersönlichen Gegenstände tauchen immer wieder auf und verleihen den environments von Hans Remond etwas Platonisches. Das rein Geometrische verweist auf Platons Ideenhimmel, abgerückt von der sichtbaren Realität, die für Platon bekanntlich viel realer war als die sichtbare Welt. Doch dieser erste Eindruck erweist sich als Skandalon, als Falle, wie das griechische Wort auch übersetzt werden kann. Die Gliederpuppen sind so ideal nicht, wie sie auf den ersten Blick erscheinen,,,,,,,,,; sie sind versehrt, mit Tüchern und Seilen umwickelt, aufgehängt, gekreuzigt, in ihrer Sicht eingeschränkt. Es scheint, als liesse sich im 20. Jahrhundert auch das Ideale nicht mehr ideal denken; und auch das Emotionale nicht mehr unvermittelt ausdrücken. Es ist in Monochronie und Statik erstarrt, ein stummes Echo auf den Schrei nach der Wahrheit des Menschen.

Hinweistafel Nr. 4

Leo Remond ist in seinen Ausdrucksmitteln weniger karg als sein Bruder, aber nicht weniger geheimnisvoll. Was für Hans Remond die Puppe ist, ist für Leo Remond die Maske. Seine Menschenfiguren haben in ihrer offensichtlichen wie versteckten Maskenhaftigkeit etwas Unergründliches an sich, denn die Maske birgt eine unauflösbare Ambivalenz: sie verhüllt das Gesicht ebenso, wie sie etwas ausdrückt, das das Gesicht nicht sagen könnte. Remonds Auseinandersetzung mit dem Menschen ist geprägt durch ein Paradox: "Es ist das Innerste, was ich male" sagt der Künstler, "aber das Innerste kann man nicht zeigen". Da das Innerste immer versteckt bleibt, muss Leo Remond es als Verstecktes zeigen und inszenieren. ... Es sind verstörende Blickfallen, die Leo Remond uns präsentiert.

Hinweistafel Nr. 5

Im Werk von Kurt Ruepp ist die menschliche Gestalt zentral. Die Beziehungen zwischen den Menschen sind hier wohl am dynamischsten gestaltet, ja, es geht in erster Linie um diese Beziehungen. Sei es die Beziehung zwischen zwei Liebenden, zwei Kämpfenden oder zwischen Führer und Masse, immer ist die Anwesenheit auf das Gegenüber thematisiert. ... In den Zeichnungen, die aus Skizzenbüchern stammen, wird die eminente zeichnerische Begabung des Künstlers sichtbar. Der Strich tastet sich bei Kurt Ruepp vor zur menschlichen Realität. Die Ölgemälde zeigen dagegen das koloristische Talent des Künstlers. Auf den Aquarellen sind Gruppen von Menschen zu sehen, die in unsichtbaren, geheimnisvollen Beziehungen zueinander stehen, eine Visualisierung der Tatsache, dass es unter Menschen, die sich im gleichen Raum aufhalten, nie eine Nicht-Beziehung geben kann.

Hinweistafel Nr. 6

Edgar Stork stellt zum ersten Mal öffentlich aus. Stork ist unter anderem Architekt, Fotograf, Grünplaner, Pferdezüchter und archäologischer Ausgräber. Neben seinen viel Tätigkeiten sind Tausende von Zeichnungen entstanden. Eine Auswahl ist hier in xerokopierten Reproduktionen zu sehen. Wie aus der brodelnden Magma des Unbewussten tauchen menschliche Gestalten auf, teilweise auch Mischwesen, halb Mensch, halb Tier. Die Zeichnungen sind von hoher Expressivität. Die Menschen exponieren sich in einem Raum voller Aggressivität und Verletzlichkeit. Storks Menschenpark zeigt den unbehausten Menschen, der mit hohlem Blick in eine Welt starrt, die keine Ruhe und keine Geborgenheit mehr verspricht.